Tumorschmerz: Tipps für den Alltag

Tumorschmerz: Tipps für den Alltag

ÄrzteZeitung vom 20.08.2014

Die richtige Auswahl von Analgetika und Ko-Analgetika entscheidet über den Erfolg der Schmerztherapie bei Krebspatienten. Tipps dazu gibt Dr. Maria E. A. Haas-Weber, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Hanau, und Vorsitzende des Fördervereins für Palliative Patientenhilfe Hanau.

Das Interview führte Beate Schumacher

Ärzte Zeitung: Wo sehen Sie die besondere Verantwortung der Hausärzte bei der Behandlung von Patienten mit Tumorschmerzen?
Dr. Maria E. A. Haas-Weber: Der Hausarzt als Generalist hat neben dem Onkologen und neben dem Krankenhaus eine zentrale Stellung in der Begleitung von krebskranken Menschen. Er muss darauf achten, dass die Lebensqualität im Mittelpunkt steht und dass eine gute Schmerz- und Symptomkontrolle erreicht wird. Palliativmedizin ist Teamarbeit. Der Hausarzt muss dafür Sorge tragen, dass möglichst keine Interaktionen durch Nicht-Kommunikation entstehen.

Voraussetzung für eine gute Schmerztherapie ist die richtige Abklärung. Worauf ist bei Tumorpatienten besonders zu achten?
Die Anamnese ist das allerwichtigste. Man muss fragen, wo es weh tut, wann der Schmerz auftritt – in Bewegung oder in Ruhe – und wie der Schmerzcharakter ist, um dann ganz gezielt eine Schmerztherapie durchzuführen.

Ist das WHO-Stufenschema bei der Behandlung von Tumorschmerzen noch relevant?
Von den Schmerzspezialisten wird das Stufenschema mehr oder weniger als obsolet betrachtet. Man kann auch gleich mit der dritten Stufe beginnen, ohne die erste beschreiten zu müssen. Ich möchte hier ein Plädoyer für die Morphine halten. Sie sind die Schmerzmittel mit den geringsten Nebenwirkungen. Man muss nur darauf achten, dass man von Anfang an Medikamente dazugibt, die einer Obstipation vorbeugen, und dass man in den ersten zwei Wochen zum Beispiel mit Haloperidol oder Metoclopramid gegen die Übelkeit behandelt. Medikamente der ersten Stufe sind nicht die verträglichsten Schmerzmittel. Im Gegenteil, Diclofenac und Ibuprofen machen Schäden an den Nieren, am Magen-Darm-Trakt und am Herzen. Sie sollten nur marginal und nur gezielt bei entsprechender Indikation eingesetzt werden.

Wie steht es mit dem Abhängigkeitspotenzial von Morphinen?
Man muss keine Angst vor Abhängigkeit haben, wenn man die richtige Darreichung wählt, nämlich möglichst keine Tropfen. Tropfen brauche ich nur, um zu titrieren, danach steige ich relativ schnell auf eine Retardform um. Eine Abhängigkeit entsteht nur durch den Kick, wenn gleich bei der Verabreichung alles freigesetzt wird.

Wann halten Sie ein Stufe-3-Opioid für indiziert?
Wenn der Patient seine Schmerzen in Ruhe auf der numerischen Analogskala von 0 bis 10 mit mehr als 7 bewertet, dann würde ich immer mit einem niedrig dosierten Morphin arbeiten. Wichtig ist, die Patienten genau aufzuklären, weil Morphinangst noch immer verbreitet ist. Wenn ich das aber mache, und wenn ich regelmäßig die Schmerzstärke überprüfe und die Therapie nach oben oder unten korrigiere und gleichzeitig Adjuvanzien gegen Obstipation und Übelkeit gebe, dann fühlen die Patienten sich wohl. Solange sie nicht mit sehr hohen Dosen behandelt werden, besteht die Möglichkeit, dass sie im Alltag vollständig mobil sind und sogar ein Fahrzeug führen können.

In Hausarztpraxen werden häufig schwache Opioide verordnet. Sind die in der Tumortherapie eine gute Option?
Bei Tumorschmerzen spielen schwache Opioide wie Tramadol oder Tilidin nur eine marginale Rolle, ich benutze sie überhaupt nicht. Im Gegensatz zu den Stufe-3-Opioiden haben sie auch einen Ceiling-Effekt. Wenn eine bestimmte Dosierung überschritten ist, lässt sich keine Wirkungssteigerung mehr erzielen.

Retardiertes orales Morphin gilt als Standardmedikament bei starken Schmerzen. Wann sind andere starke Opioide zu bevorzugen?
Wenn jemand zum Beispiel an einer Dysphagie leidet oder schon sehr viele Medikamente einnimmt, kann man ein Pflaster verwenden. Hydromorphon beispielsweise setze ich eher bei viszeralen, Oxycodon bei Knochenschmerzen ein. Die Schmerztherapie bei Tumorpatienten steht und fällt mit der differenzierten Gabe von Analgetika und Ko-Analgetika.

Welche Substanzen kommen als Ko-Analgetika zum Einsatz?
Bei Tumorpatienten gehört als erstes Ko-Analgetikum immer ein Antidepressivum dazu, zum Beispiel Amitriptylin. Im Fokus der antidepressiven Behandlung steht der Schlafanstoß, damit der Patient sich Kraft für den nächsten Tag holen kann. Das zweite Ko-Analgetikum ist Dexamethason, sofern nicht eine akute Entzündung oder ein dekompensierter Diabetes vorliegen. Kortison wird wegen seiner allgemein roborierenden Wirkung eingesetzt, es regt den Appetit an und steigert die Vigilanz. Bei Knochenmetastasen ist zum Beispiel als drittes Ko-Analgetikum ein Bisphosphonat sinnvoll.

Welche Voraussetzungen müssen für eine ambulante parenterale Opioidtherapie erfüllt sein?
Als Hausarzt kann ich auch bei Patienten in der Endphase weitgehend ohne Apparaturen auskommen. Schmerzen kann ich über die Haut mit Pflastern behandeln, die Angst kann ich beseitigen, indem ich Lorazepam mit ein paar Tropfen Wasser in der Mundhöhle auflöse, auch die Übelkeit lässt sich über die Mundhöhle behandeln, mit 3-5 Tropfen Haloperidol, selbst stärkste Schmerzen können durch ein Nasenspray mit Fentanyl gelindert werden. Morphinperfusoren brauche ich nur ganz selten, wenn ich mit den anderen Möglichkeiten nicht zurande komme.

Wie kann der Hausarzt sonst noch zur Schmerzlinderung beitragen?
Schmerzen haben ebenso wie Luftnot eine hohe subjektive Komponente. Schmerz wird verdreifacht, wenn Angst im Vordergrund steht. Wenn ich ein angstlösendes Medikament gebe und mich hinsetze und mir Zeit nehme und mit dem Patienten spreche, kann ich vielleicht auf eine Opioiderhöhung verzichten. Das ist natürlich zeitaufwendig; als Palliativmedizinerin habe ich eine 90-Stunden-Woche. Aber wir Hausärzte sind ja Behandler, das heißt, dass wir vielleicht jemanden auch mal umarmen und ihm die Hand halten. Das Begleiten, das Sprechen, die empathische Haltung sind in der hausärztlichen Medizin ganz große Werte.

Ändert das nahe Lebensende etwas an den Prinzipien der Therapie?
Nein, es zählt jeder Tag und jede Stunde. Die Palliativmedizin versucht, immer eine gute Schmerz- und Symptomkontrolle zu erreichen. Wir lehnen eine aktive Sterbehilfe ab. Wenn ein krebskranker Mensch aber präfinal eine schnelle Atmung hat, psychomotorische Unruhe zu erkennen ist und seine Mimik Schmerzen verrät, dann darf ich – im informierten Einverständnis mit dem Patienten beziehungsweise den Angehörigen -, das Morphin höher dosieren, mit der Möglichkeit, dass ich dadurch sein Leben verkürze. Auch bei terminaler Atemnot ist Morphin, 10 mg subkutan alle vier Stunden kombiniert mit Lorazepam, ein wahres Wundermittel.
Kann man bei allen Krebspatienten bis zum Ende eine zufriedenstellende Schmerzlinderung erreichen?
Ja, mit einer guten, individuellen palliativmedizinischen Versorgung gelingt das zu 100 Prozent.

Vorheriger Beitrag
Japanische Experten zu Gast – St. Vinzenz-Krankenhaus stellt Geriatrie und Palliativ-Versorgung vor
Nächster Beitrag
Debatte um Sterbehilfe

Archiv