Quelle: Offenbach Post vom 24. November 2014, Foto: © Kögel
Hanau – „Das Töten auf Verlangen soll verboten bleiben,“ fordert der ehemalige SPD-Bundesvorsitzende und Vizekanzler Franz Müntefering, der am Samstag prominenter Gastredner bei der Veranstaltung „Hilfe beim Sterben oder Hilfe zum Sterben“ des Fördervereins Palliative Patienten-Hilfe Hanau e.V.“ war. Von Dieter Kögel
Rund 600 interessierte Gäste füllten den Brüder-Grimm-Saal im Congress Park Hanau und zeigten, dass das Thema Sterbehilfe immer mehr in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rückt. Auch und gerade vor dem Hintergrund, dass der Bundestag in Kürze eine Neuregelung des strafrechtlichen Rahmens anstrebt. Auch der Mediziner Dr. Michael de Ridder aus Berlin stimmte Müntefering zu: „Eine Normierung des Sterbeprozesse kann und darf es nicht geben.“ Aber die ärztliche Assistenz zum Suicid auf eigenen Wunsch sei im Einzelfall richtig. Dies grundsätzlich gesetzlich zu untersagen hält de Ridder für „unethisch.“
Freilich haben die Entwicklungen in der Palliativmedizin und in der Hospizbewegung in den vergangenen beiden Jahrzehnten dafür gesorgt, dass einiges in Bewegung gekommen ist, wenn es um die Wahrung der Würde auch in der letzten Lebensphase geht, unterstrich die Hanauer Vereinsvorsitzende Dr. Maria Haas-Weber. Immerhin sei so ein „Sterben ohne Schmerzen in liebevoller Pflege“ in den Bereich des Möglichen gerückt. Und man „sollte einen Sterbenden sterben lassen, wenn er es will.“
Doch die Gründe dafür, so Franz Müntefering, seien nicht immer rein medizinische. Auch das Alleinsein im Alter könne den Wunsch nach dem Ende wecken. Müntefering forderte in diesem Zusammenhang „Hilfe für die Heime“ ein. Denn den letzten Lebensabschnitt in Würde und Zuwendung zu bestreiten, das sei auch eine Frage der Zeit. Zeit, die das Personal in den Heimen eben nicht habe. „Wir müssen dafür sorgen, dass wir da noch besser werden.“ Dazu gehöre auch die psychische Betreuung der Senioren. Die notwendige Alterspsychiatrie sieht Müntefering in einem „verheerenden Zustand.“ Ein Hüftgelenk bekomme man mit 80 Jahren noch verpasst, aber für die Seele gäbe es keine professionelle Heilung.
„Trotz aller Fortschritte, auch die Palliativmedizin stößt an Grenzen,“ weiß Dr. Michael de Ridder aus seiner jahrelangen Praxis. Die habe ihn gelehrt, jeweils immer genau den Einzelfall zu betrachten, um zu sehen und zu spüren, wenn der Patient „sich selbst zur unerträglichen Last wird,“ wenn er nicht etwa Lebensmüde, sondern „Leidensmüde“ werde. Im Einzelfall könne das ein Grund sein, dem Patienten auf der Basis des sich Kennens und eines hohen Maßes an Vertrauen beim Freitod derart zu assistieren, dass der Arzt für die Möglichkeit sorgt, auf die der Patient zugreifen kann, wann er es will und es für richtig hält. Denn „letztendlich ist es der Patient selbst, der entscheidet, und nicht der Arzt.“ Die „Autonomie des Willens des Patienten ist unbedingt zu achten,“ meinte de Ridder. Und er fügt hinzu, dass die aktuellen Selbstmordwünsche von Patienten sinken würden, wenn ihnen klar wäre, was Palliativmedizin und Hospiz in der Lage seien zu leisten.
Die Vorträge und Diskussionen am Samstag im CPH waren ein guter Anstoß für eine neue Runde in der Debatte um die Sterbehilfe, mit der man sich laut Hanaus OB Claus Kaminsky „auseinandersetzen muss.“ Denn es sei nicht abzusehen, was ein Ja zur aktiven Sterbehilfe bewirken würde. „Wir wissen nicht, was das mit den betroffenen Menschen und der Gesellschaft macht.“